Ginger & Rosa. Ein Film von Sally Potter. Ab 12. September 2013 auf DVD - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 03.04.2013


Ginger & Rosa. Ein Film von Sally Potter. Ab 12. September 2013 auf DVD
Julia Lorenz

London, 1962. Zwischen Kubakrise und wilden Partynächten beginnen zwei unangepasste Teenager ihren Feldzug gegen Krieg und Konventionen - bis der Kampf sein erstes Opfer fordert: Ihre Freundschaft..




Ein lauter Knall im fernen Asien ändert die Spielregeln: Am 6. August 1945 werfen die Vereinigten Staaten von Amerika die erste Atombombe auf die japanische Hafenstadt Hiroshima ab und liefern damit den unmenschlichen Beweis, welch brachiale Zerstörungskraft von jener neuen Bedrohung für die Weltbevölkerung ausgeht.
In England erblicken im selben Jahr Ginger (Elle Fanning) und Rosa (Alice Englert) das Licht der Welt. Bereits im Kindesalter durch die Freundschaft ihrer Mütter verbunden, wachsen die beiden zu engsten Vertrauten heran und teilen im London der Sechziger Jahre nicht nur ihre Vorliebe für Dufflecoats, sondern auch ihre ersten Erfahrungen mit Jungs, Alkohol und politischem Aktivismus. Eines steht fest: Sie wollen anders leben als ihre Mütter. Rosas chronisch überforderte Single-Mom Anoushka (Jodhi May) hat die Kontrolle über ihre rebellische Tochter schon lange verloren, Gingers frustrierte Mutter Natalie (Christina Hendricks) fungiert für ihre Tochter vorrangig als Anti-Role-Model: Die ehemalige Künstlerin setzt sich für mehr Hauswirtschaftsunterricht an Schulen ein und wird als spießbürgerliches Doris-Day-Abziehbild in Szene gesetzt.

Ganz im Gegensatz zu Vater Roland (Alessandro Nivola): Als Akademiker mit Faible für Django Reinhardt-Platten, Pazifist und Bohèmian ist er die perfekte Projektionsfläche für Gingers romantische, antikonservative Zukunftsvorstellungen. Doch Rolands freigeistige Attitüde imponiert auch Rosa. Sie glaubt, eine tiefe Verbundenheit zu ihm zu spüren und ihn von seinen Kriegs-Traumata heilen zu können - sehr zu Gingers Leidwesen, der sich neben der atomaren Bedrohung ein weiteres ernstes Problem eröffnet: Ihre beste Freundin und ihr Vater haben sich ineinander verliebt.

Wenn die Selbstverwirklichung des/r Einen im Widerspruch zum Wohl des/r Anderen steht - was hat dann Priorität? Sally Potter widmet sich in ihrem neuen Werk einer komplexen Frage, die am delikaten Dreiecksverhältnis zwischen Ginger, Rosa und Roland exemplarisch nachvollzogen werden kann. Auf der einen Seite steht die Forderung nach freier, unkonventioneller Liebe, auf der anderen das Verhältnis zwischen Teenager Rosa und Roland. Instinktiv lehnt mensch die Beziehung ab und schüttelt den Kopf über den Egoismus der Beteiligten, der Gingers Weltbild aus den Fugen geraten und ihren Kampf gegen die atomare Bedrohung mehr und mehr zum Ventil für ihre inneren Konflikte werden lässt. Rolands Filmcharakter durchlebt dabei einen bemerkenswerten Werdegang: Vom leichtlebigen Daddy Cool zum Rabenvater. Doch wer dem SpießerInnentum den Kampf ansagt, muss die eigenen, radikalen Prinzipien zu Ende denken: Ist nicht auch das Verhältnis zwischen der frühreifen Rosa und dem wesentlich älteren Libertin eine "Liebe gegen das Moraldiktat" - und somit genau das, was Ginger und ihre MitstreiterInnen fordern?

Sally Potter nimmt die emotionalen Nöte, den liebenswert-naiven Idealismus und EntdeckerInnengeist ihrer jungen Charaktere ernst - und rekonstruiert somit nicht zuletzt ihre eigene Jugend: Im Interview mit dem britischen Guardian verriet die Regisseurin, dass sich die Gemeinsamkeiten zwischen ihr und der jungen Protagonistin nicht nur auf die markante Haarfarbe beschränken lassen: Von Gingers poetischen Ambitionen bis hin zu ihrem leidenschaftlichen Aktivismus finden sich viele Parallelen zur jugendlichen Sally Potter. Ein Umstand, der sich im Film durch viel Sensibilität und Sympathie für die Charaktere äußert.

AVIVA-Tipp: "Ginger und Rosa" ist nur bei oberflächlicher Betrachtung das Portrait einer Mädchenfreundschaft: Regisseurin Potter hinterfragt in ihrem neuen Werk den Preis der Autonomie. Und zwar so klug und nuanciert, dass die Parteinahme - trotz intuitiver Ablehnung muffiger Fifties-Residuen - im Filmverlauf zunehmend schwer fällt. Das ist nicht zuletzt eine Leistung des großartigen Casts, allen voran Elle Fanning, die zum Zeitpunkt des Drehs gerade einmal dreizehn Jahre alt war - wie Sally Potter im Jahre 1962. Mit viel Sixties-Zeitkolorit zeichnet die Britin das Bild einer Generation, die, geprägt von Aufbruchsstimmung und Innovationsdrang, viel riskierte, um sich von den moralischen Restriktionen der Nachkriegszeit zu befreien.

Zur Regisseurin: Sally Potter wurde 1949 in London geboren. Bereits mit sechzehn Jahren verließ sie die Schule und begann, eigene Filme zu drehen. An der London School of Contemporary Dance wurde sie zur Tänzerin und Choreographin ausgebildet und gründete ein eigenes Tanzensemble, die "Limited Dance Company". Mit der Adaption des Virginia Woolf Romans "Orlando" gelang ihr 1992 schließlich der internationale Durchbruch: Der Film erhielt zwei Oscarnominierungen und wurde vielfach international ausgezeichnet. Multitalent Potter trat auch als Komponistin, Sängerin sowie als Schauspielerin in verschiedenen Projekten in Erscheinung, so in ihrem Film "Tango Lesson" aus dem Jahr 1997. Für ihre Werke "Yes" (2004) und "Rage" (2009) war Potter nicht nur als Regisseurin, sondern auch als Drehbuchschreiberin tätig.
Weitere Infos zur Regisseurin unter: www.sallypotter.com

Ginger & Rosa
Großbritannien/ Dänemark 2012
Regie und Buch: Sally Potter
DarstellerInnen: Alice Englert, Elle Fanning, Alessandro Nivola, Christina Hendricks, Annette Bening, Timothy Spall, Oliver Platt, Jodhi May, Oliver Milburn, Andrew Hawley
Kamera: Robbie Ryan BSC
Schnitt: Anders Refn
Produzenten: Christopher Sheppard, Andrei Litvin
Co-ProduzentInnen: Peter Bose, Jonas Allen, Lene Bausager, Michael Weber
Musik: Amy Ashworth
Kostüme: Holly Waddington
Filmlänge: 87 Minuten
Verleih: Concorde Video
Format: Dolby, DTS, PAL, Widescreen
Sprachen: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Deutsch (DTS 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Bonus: Interviews mit dem Cast und der Regisseurin Sally Potter
Untertitel: Deutsch
Region: Region 2
Bildseitenformat: 16:9 - 2.35:1
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Preis: 12,99,- Euro
Eine Co-Produktion von BBC Films in Zusammenarbeit mit Adventure Pictures, British Film Institute, Det Danske Filminstitut und Media House Capital + Miso Films
DVD-Start: 12. September 2013
www.gingerandrosa.com



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Tango Lesson von und mit Sally Potter

Yes

Sally Potter in interview (2005)



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Julia Lorenz